SENSATION DES SEHENS

DIE SAMMLUNG WERNER NEKES – Vol. 1 BAROCK und Vol. 2 IMPRESSIONISMUS

Ausstellungen im Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln, in Kooperation mit der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln mit Objekten aus der Sammlung Werner Nekes.

»Was geschah wirklich zwischen den Bildern?«, lautete der Titel eines Dokumentarfilms von Werner Nekes, den man zugleich als Anfangsfrage für seine in jahrzehntelanger Arbeit zusammengetragene Sammlung begreifen kann. Bald wurde deutlich, dass die hier dokumentierten optischen Künste mehr als eine reine Vor-Geschichte des Films sind. Vielmehr sind sie Meilensteine jener historischen Bild- und Schaukünste, aus denen die heutige Medienlandschaft erwachsen ist. Die Interventionsreihe »Sensation des Sehens« eröffnet durch den Dialog zwischen beiden Sammlungen eine Möglichkeit, sinnlich und spielerisch dieser zu entdeckenden Geschichte auf die Spur zu kommen.

In den Saal der Impressionisten (Vol.  2), mitten hinein in die Explosion der Stile und Motive der Bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts ist die große Wundertrommel im September 2023 umgezogen. In dieser lässt sich mit den Objekten der Sammlung Werner Nekes nun erkunden, was abseits der Galerien, Ausstellungen und Ateliers geschah. Spiele mit Licht und Bewegung sowie Blicke auf die Welt zogen in die bürgerlichen Salons und Wohnzimmer ein – und wurden alltäglich. Mit der Lithophanie etwa entfaltet seit den 1830ern feinstes Biskuitporzellan im Kerzenschein als Interieur seinen Zauber. Protean Views offenbaren »vielseitige Ansichten« gänzlich ohne Apparatur. Die Gebrüder Lumière stellten 1898, drei Jahre nach ihrem »Cinématographe«, der heute mit dem Jahr 1895 als ›Geburtsstunde des Kinos‹ gilt, ein Betrachtungsgerät vor: Die »Kinora« brachte nach dem Prinzip eines mechanisierten Daumenkinos bewegte Bilder nach Hause. Mit der zusätzlich erwerbbaren Filmkamera konnten eigene, private Bildserien aufgenommen werden.

So nehmen die Objekte der Sammlung Werner Nekes in der Faszination für Lichtspiele, Bewegung, Paris als Zentrum oder »Innenwelten« der Familien nicht nur den Dialog zu den Gemälden auf, sondern zeigen zugleich eine Medien- und Kulturgeschichte der Gleichzeitigkeit. Im ordnenden Blick mag der Cinématographe heute als Zielpunkt erscheinen und war es doch nicht. Die Selbstverständlichkeit bewegter Bilder, die Faszination am Spielen in Bildender Kunst über die politischen und technischen Umbrüche hinweg, machen die Objekte erfahrbar. Sie laden zum Schauen und mit dem Nachbau einer originalen Wundertrommel auch zum eigenen Erleben ein.

Spielen war auch schon im 19. Jahrhundert konstitutiv, wie etwa eine historische Spielzeugkiste zeigt, deren Referenzen die Echoräume im »langen 19. Jahrhundert« offenbaren. So tritt die Sammlung Werner Nekes nun auch in Dialog mit der Theaterwissenschaftlichen Sammlung. Die eigens erbaute Wundertrommel avanciert im Angesicht der vielfältigen Zeit und Sammlungen zur Litfaßsäule: Bühnenbildentwürfe zu „In 80 Tagen um die Welt“ laden ein, über aktuelle Sichtweisen ebenso nachzudenken wie – in der Gesamtschau – ein disparates Jahrhundert mit neuen oder anderen Perspektiven zu befragen und zu erkunden.

Vol. 1: Barock brachte die Sammlung Werner Nekes von Juni 2022 bis April 2023 in Dialog mit den Gemälden des Barocks. Die eigens für die Ausstellungstrilogie erbaute große Wundertrommel stand zunächst in den bewegten Zeiten zwischen Reformation, Dreißigjährigem Krieg und Aufklärung, die auf die Weltsicht nicht allein im philosophischen, sondern auch in einem sehr unmittelbar künstlerisch-medialen Sinne wirkten. In der Spannung von Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie, aber auch Aberglauben und Lust am Spektakulären entfaltete sich eine neuartige visuelle Kultur, in deren Zentrum die Sensation des Sehens stand. Technische Innovationen sowie eine opulente Bildersprache gingen ein enges Wechselverhältnis ein und befeuerten sich gegenseitig.

Dabei vollzog sich eine bemerkenswerte Doppelbewegung: Auf der einen Seite erweiterte sich das Bilderrepertoire signifikant, denn die neuen Präsentationsformen erlaubten eine Zirkulation zwischen unterschiedlichen Künsten und Techniken. Guckkästen verbanden die Kunst der optischen Apparate mit der Druckkunst, die wiederum in gleichem Maße an der Bildenden Kunst partizipierte wie an den Bühnenkünsten. Die kategoriale Trennung von Malerei, Theater und Druckkunst verschwand im Licht einer Präsentationspraxis, die sich nicht an abstrakten Kategorien orientierte, sondern auf das Staunen, Wundern, Gruseln seiner Zuschauerinnen und Zuschauer abzielte.

Blick ins Wallraf-Richartz-Museum mit der Nekes Wundertrommel
Blick in die Nekes-Wunderstrommel im Wallraf-Richartz-Museum Köln
Blick in die Nekes-Wunderstrommel im Wallraf-Richartz-Museum Köln